Vesper

Man könnte an einem Abend Anfang September mit vier Anderen den Siebensitzer nehmen, vom Haus in der unteren Litze aus Richtung Sonntag fahren, fast geräuschlos, dann hangaufwärts Richtung Türtsch, immer weiter nach oben, bis man für die Weiterfahrt ohne Berechtigungsschein mit über 700 Euro Verwaltungsstrafe bedroht wird, dort parken und nordwärts einen Forstweg nehmen, weiter in das steile Seitental, um Kurven und Kurven unter alten Laub- und Nadelbäumen, bis sich der Wald kurz lichtet.

Feuchte Wiesen mit sanften Kuppeln, Herbstzeitlosen, einzelne Bäume, die Hänge so steil, dass man sich fragt, wie selbst mit den tiefliegenden Motormähern hier noch gearbeitet werden kann, da könnte man sich schwer atmend und schweigend den Hang emporarbeiten, fünf Punkte, und sich an einer flacheren Stelle, immer noch ernüchternd steil, hinsetzen und die harte Zeichnung des Gegenhangs in sich aufnehmen, weit unten den Bach, der das Tal gegraben hat, und oben eine Alpe, weiter taleinwärts, die wirkt, als wäre sie vielleicht seit Jahrhunderten vom Rest der Zivilisation abgeschnitten.

Man könnte mit geschärfter Wahrnehmung dem Lichtwechsel folgen, den Wolken, im hintersten Tal Richtung Faschina ist es noch heller, könnte schweigen, lachen, Wasser und Schnaps aus den Glasflaschen trinken und Erhabenheit wie Bedrohlichkeit dieses vertikalen Ensembles ihre Wirkung tun lassen.

In der späten Dämmerung ist dann möglicherweise ein einzelner Schuss zu hören, der lange nachhallt, und der Lichtkegel eines Autos schiebt sich schleichend auf die beiden Hüttengruppen der Alpe zu, mit den jetzt brennenden Glühbirnen wie ein Augenpaar unter der Kapuze des spitzen Gipfels.

Der Abstieg über den Steilhang im letzten Restlicht gestaltet sich vielleicht leichter als angenommen; kann sein, dass sich die Tragweite der eigenen Existenz an der ehrfurchtgebietenden Umgebung relativiert hat. Am Rand des dunklen Waldwegs könnte dann ein Spalier für ein Geländefahrzeug der Bergrettung gebildet werden, dem sich von innen wohl ein sonderbares Bild böte.

Auf der Rückfahrt nach unten könnte man ein Lied hören, nur das eine, weil sich das einer der Mitreisenden, vorne auf dem shotgun seat, so wünscht, es könnte Bells & Circles von Underworld und Iggy Pop sein. Flügel haben. 

 

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